Die Deutsche Einheitskurzschrift (DEK) ist ein faszinierendes Hobby. Aber wenn man sie einigermaßen gut beherrscht, wird sie schnell auch zu einem nützlichen Mittel im Alltag. Sie kann in vielen Bereichen eine sinnvolle Anwendung finden, unter anderem für Zusammenfassungen, Notizen oder Tagebucheinträge. Aber wie kommt man nun dazu, Stenografie „einigermaßen gut“ zu beherrschen? Und was heißt das überhaupt?
Die Antwort auf die zweite Frage hängt ganz davon ab, wo man hin will. Für die Verkehrsschrift der Deutschen Einheitskurzschrift (DEK) findet man als Leistungsfähigkeit immer wieder die Zahl 120 Silben in der Minute, für höhere Schreibgeschwindigkeiten müsse man dann zur Eilschrift übergehen, heißt es. Aber bedeutet das, ich kann den Satz „Ich will Ihnen den Schaden ersetzen“ zwölf Mal in einer Minute schreiben, oder bedeutet das, dass ich einem längeren, unbekannten Diktat mit dieser Geschwindigkeit folgen kann? Ich denke eher Letzteres. Bis man mit der Verkehrsschrift so weit ist, dürfte es also einige Übung brauchen. Welche Fertigkeit man in der Verkehrsschrift erreichen will, bleibt nun jedem und jeder selbst überlassen; wie man sie erreicht (die erste Frage aus dem vorigen Absatz), dazu habe ich ein paar nützliche Hinweise im Buch „Die Praxis des Kurzschriftunterrichts“ von Baier und Lambrich (Winklers Verlag, 1981) gefunden.
- Ausbau der Schreibsicherheit: Dazu zählt in erster Linie das Üben häufiger Wörter mit dem Ziel, den Schreibprozess innerhalb eines Wortes weitgehend zu automatisieren. Mit viel Schreibpraxis wird man immer besser im Verbinden der Zeichen und setzt ein Wort zunehmend aus automatisierten „Zeichenkombinationen“ zusammen. Das Gleiche gilt für Kürzel, sie müssen (auch in Erweiterungen und Zusammensetzungen) ohne zu zögern angewandt werden können. Hand in Hand damit geht natürlich eine regelmäßige Wiederholung der wichtigen Systemregeln, um alles nicht nur automatisch, sondern auch richtig zu schreiben. Eine große Hilfe dabei ist Winklers Wörterbuch oder die Systemurkunde. Oft falsch geschriebene Wörter sollten dann in einem Vokabelheft notiert und zusätzlich zu den häufigen Wörtern regelmäßig geübt werden.
- Ausbau der Lesefertigkeit: Wenn man Stenografie als Hobby betreibt, vergisst man manchmal auf einen wichtigen Aspekt des Schreibens: Der einzige Grund für das Schreiben ist das Lesen. Wenn es nicht gelesen werden sollte, müsste man ja auch nichts schreiben. Das gilt für die Verkehrsschrift noch viel mehr als für die höheren Systemstufen, welche als Diktat- oder Parlamentsschrift nach der Niederschrift ein, vielleicht zwei Mal gelesen werden. Die Verkehrsschrift dagegen wurde so gestaltet, dass sie jederzeit eindeutig und fließend wiedergelesen werden kann, noch dazu von fremden Personen: „Verkehrsschrift“ kommt von Schriftverkehr. Deshalb sollte man, wenn man vor hat, die Verkehrsschrift für Notizen und Ähnliches zu verwenden, regelmäßig eigene und nach Möglichkeit auch fremde Stenogramme lesen. Und das nicht nur als Überfliegen mit den Augen, sondern darüber hinaus auch als inhaltliches Erfassen. Ausdrucksvolles, lautes (Vor-)Lesen ist dabei ein Beweis für ein Verständnis des Textes und seiner Gliederung.
- Entwicklung einer Gebrauchsschrift: Wenn man zum Lernen der Verkehrsschrift ein Liniennetz verwendet hat, wird man sich für den Übergang zu einer Alltagsschrift bald davon lösen wollen. Üblicherweise hat man liniertes oder glattes Papier leichter greifbar, außerdem hemmt das Liniennetz den Schreibfluss, da es keine Abweichungen im Schriftbild und keine eigene Schriftgröße zulässt. Auch ein Schreiben mit Bleistift ist in vielen Fällen nicht praktisch. Für kontrastreichere Linien, und um nicht ständig spitzen zu müssen, wählen viele eine Füllfeder, einen Kugelschreiber oder ein anderes Schreibwerkzeug. Auch ohne Liniennetz und mit Füllfeder sollte das Schriftbild aber nicht verkommen, weshalb sich für Schönschreibübungen eine regelmäßige Rückkehr zum Liniennetz empfiehlt. Dabei sollte man den Zeichen, bei denen man Probleme hat (für mich zum Beispiel m, -ung oder schw), besondere Aufmerksamkeit widmen.
- Ansagen: Bei Ansagen wird der Prozess Hören-Verstehen-Übersetzen-Schreiben automatisiert. Dies hilft beim flüssigen Schreiben „außerhalb“ des Wortes (vgl. Punkt 1, dort wird hauptsächlich „innerhalb“ des Worts gearbeitet), also im Zusammenhang von ganzen Sätzen und gängigen Phrasen. Das ist, wo ein Großteil der Schreibgeschwindigkeit liegt: in der Reduktion der Pausen zwischen den Wörtern, in denen das Hirn die richtige Übersetzung für das nächste Wort sucht. Ansagen kann man vorbereitet oder unvorbereitet üben. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, pro Tag nicht mehr als eine Ansage zu üben, diese aber in unterschiedlichen Geschwindigkeiten: ein Mal in maximaler Geschwindigkeit, dann halb so schnell, dann in ein oder zwei weiteren Schritten wieder zurück zur maximalen Geschwindigkeit. Das Stenogramm muss jedes Mal transkribiert werden (s. Punkt 5). Man kann auch unterschiedlichen Stimmen und Geschwindigkeiten folgen, wenn man dementsprechendes Diktatmaterial findet. Wer die DEK später als Diktatschrift verwenden möchte, kann zur Übung Ansagen vorbereiten und aufzeichnen, in denen absichtlich Lücken oder Fehler eingebaut sind, die beim Transkribieren erkannt und korrigiert werden müssen.
- Aufbau der Übertragungstechnik: Das Übertragen ist aus mehreren Gründen wichtig. Erstens ist es nötig, alles Geschriebene wieder zu lesen (und auch wieder lesen zu können), darauf ging ich in Punkt 2 schon ein. Zweitens müssen viele Texte in Langschrift vorliegen, um von anderen gelesen werden zu können, archiviert oder vervielfältigt zu werden. Drittens ist die Schreibfertigkeit auf der Tastatur für die heutige (Arbeits-)Welt von unermesslichem Wert und darf deswegen gern auch in Verbindung mit einem Hobby geübt werden! Bei der Transkription findet man auch Fehler, die wiederholt auftreten, und kann gezielt an ihren Ursachen arbeiten. Um zu beurteilen, ob ich ein Diktat einer bestimmten Geschwindigkeit „geschafft“ habe oder nicht, ziehe ich persönlich die Wettschreibordnung des Deutschen Stenografenbunds heran; dort ist in Abschnitt 8.1 festgelegt, wie Fehler gewertet werden.
- Verwendung als Notiz- und Entwurfsschrift: Wenn man die DEK für eigene Notizen nutzt, dient das der Entwicklung von Wortfeldern in verschiedenen Bereichen – abseits von Geschäftsbriefen und Zeitungssprache. Man erweitert sozusagen das eigene Vokabular auf genau den Gebieten, in denen man sich häufig bewegt (Sport, Technik, Literatur etc.). Dazu kann man z.B. das Wichtigste aus einem Artikel exzerpieren, für den man sich interessiert, oder wichtige Punkte einer Besprechung protokollieren. Man findet recht bald auch die Grenzen der DEK als Notizschrift, sie ist nämlich für einen Trainingsplan mit englischen Namen für die Übungen genau so nutzlos wie für Notizen im Französischunterricht. Aber fürs Notieren von Aufgaben, Merksätzen, Tagebucheinträgen, Brief-, Protokoll- und Textentwürfen ist die Verkehrsschrift sehr gut geeignet, ist zeit- und vor allem platzsparend, macht Spaß und ist mit Übung auch fließend wiederlesbar.
Diese sechs Methoden sind in meinen Augen alle gleich wichtig, um die DEK sinnvoll nutzen zu können. Sie tragen auch alle zur Förderung der Schreibgeschwindigkeit bei, jenem Parameter, an dem wir den Wert einer Kurzschrift schließlich messen. Je nachdem wie viel Zeit man hat, kann man sich jeden Tag oder jede Woche einem oder zwei Schwerpunkten widmen. Eine solche Ausgewogenheit beugt auch Frustration vor, wenn man auf einem der Gebiete einmal kurzfristig keine Fortschritte macht. Die Gleichwertigkeit aller dieser sechs Aspekte wurde mir erst vor Kurzem bewusst. Ich hätte zum Beispiel nicht gedacht, dass mangelnde Lesefertigkeit ein so großes Hemmnis für meine Nutzung der DEK sein würde. Ich verwendete die Verkehrsschrift nicht für „wichtige Dinge“ wie die Prüfungsvorbereitung auf der Uni, aus Angst, dass sich mir wichtige Zusammenhänge und Konzepte visuell weniger gut einprägen würden als ihre langschriftlichen Geschwister. Aber wie soll sich das ändern – wenn nicht durch Übung?